Seligsprechung von zehn Schwestern

der Gemeinschaft der Schwestern von der hl. Elisabeth im Breslauer Dom

Am 11. Juni 2022 wurden im Breslauer Dom St. Johannes der Täufer im Rahmen einer Hl. Messe zehn Schwestern der Gemeinschaft der Schwestern von der hl. Elisabeth, die nach ihrem Ordenskleid auch „Graue Schwestern“ genannt werden und die u. a. in der schlesischen Kreisstadt Neumarkt ein Krankenhaus, das Elisabethstift, betrieben haben, selig gesprochen. Die Seligsprechung nahm im Namen von Papst Franziskus der Präfekt der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungen, Kardinal Marcello Semeraro, mittels Verlesens des entsprechenden päpstlichen Dekrets vor. Der stellvertretende Vorsitzende des Neumarkter Vereins e.V. Hameln, Dr. Bernhard Jungnitz, hatte aufgrund seiner Eigenschaft „Vorsitzender des Heimatwerkes Schlesischer Katholiken e.V.“ Gelegenheit, an dieser außergewöhnlichen Feier in der Breslauer Kathedrale teilzunehmen.

Seligsprechungen – passt dergleichen noch in unsere Zeit? Und was war geschehen, dass gleich zehn Schwestern selig gesprochen wurden? Im Begleitheft für die Feier der Seligsprechung finden sich unter der Überschrift „Zeit des Opfers“ dazu folgende Erläuterungen:

Der II. Weltkrieg brachte viele materielle und psychische Zerstörungen mit sich. Unschuldige Menschen, die sich der nationalsozialistischen Besatzung widersetzten, haben gelitten. Viele Geistliche, Ordensangehörige und katholische Laien haben ihr Leben wegen ihres Glaubens an Gott und der Zugehörigkeit zur Kirche geopfert. Gegen Kriegsende und gleich nach dem Krieg hat sich die Situation in den Gebieten, die von der Roten Armee besetzt wurden, kaum verändert. Lang ist die Liste der Zeugen für Christus aus dieser Zeit: Priester, Ordensbrüder, Ordensschwestern und Laien wurden getötet, misshandelt und gedemütigt. Viele Mädchen, Frauen und Ordensschwestern wurden vergewaltigt, obwohl sie mutig Widerstand leisteten. Mit Gewalt und Schlägen wurden sie so zugerichtet, dass sie sich nicht mehr wehren konnten. Oft sollte ein Schuss aus dem Gewehr das Opfer für immer „zum Schweigen“ bringen.

Jahrelang durfte über ihre christliche Heldentat nicht gesprochen werden. Jetzt werden ihre Namen aus der Geschichte hervorgeholt, um dem heutigen Menschen standhafte Glaubenszeugen zu zeigen. Darunter befinden sich auch die Schwestern von der hl. Elisabeth, die mit ihrem Tod die Treue zur Berufung, zu Gott und zur Nächstenliebe bezeugt haben. Von diesen wurden zehn Schwestern ausgewählt. Sie vertreten alle Elisabethschwestern, die im Jahre 1945 in Schlesien getötet wurden.

Selig gesprochen wurden 1. Sr. Maria Paschalis (Magdalena Jahn), geb. 7. April 1916 in Neisse-Oberneuland (heute: Nysa), gest. 11. Mai 1945 in Zöptau (heute: Sobotin/ Tschechien); 2. Sr. Maria Edelburgis (Julie Kubitzki), geb. 9. Februar 1905 in Königlich Dombrowka/ später Eichendorf/Kreis Oppeln (heute: Dąbrówka), gest. 20. Februar 1945 in Sorau/ Provinz Brandenburg (heute: Żary/ Niederschlesien); 3. Sr. Maria Rosaria (Elfriede Schilling), geb. 5. Mai 1908 in Breslau (heute: Wrocław), gest. 23. Februar 1945 in Naumburg am Queis/ Kreis Bunzlau (heute: Nowogrodziec); 4. Sr. Maria Sabina (Anna Thienel), geb. 24. September 1909 in Riegersdorf/ Kreis Neustadt (heute: Rudziczka), gest. 1. März 1945 in Lauban (heute: Lubań); 5. Sr. Maria Melusia (Martha Rybka), geb. 11. Juli 1905 in Pawlau/ Kreis Ratibor (heute: Pawlow), gest. 24. März 1945 in Neisse (heute: Nysa); 6. Sr. Maria Sapientia (Lucia Heymann), geb. 19. April 1875 in Liebsdorf/ Kreis Deutsch-Krone (heute: Lubiesz bei Wałcz), gest.24. März 1945 in Neisse (heute: Nysa); 7. Sr. Maria Acutina (Helene Goldberg), geb. 6. Juli 1882 in Dluszek/ später Hartigswalde/ Kreis Neidenburg/ Ostpreußen (heute: Dłużek), gest. 2. Mai 1945 in Groß-Kreidel/ Kreis Wohlau (heute: Krzydlina Wielka); 8. Sr. Maria Adela (Klara Schramm), geb. 3. Juni1 1885 in Wiesau/ Kreis Glatz (heute: Łączna), gest. 25. Februar 1945 in Günthersdorf/ Kreis Bunzlau (heute: Godzieszów); 9. Sr. Maria Felicitas (Anna Ellmerer), geb. 12. Mai 1889 in Grafing/ Bayern; gest. 25. März 1945 in Neisse (heute: Nysa); 10. Sr. Maria Adelheidis (Hedwig Töpfer); geb. 13. September 1887 in Neisse (heute: Nysa), gest. 24. März 1945 in Neisse (heute: Nysa).

Seligsprechung

Alle Schwestern fanden den Tod bei der Verteidigung der eigenen Reinheit oder bei der Verteidigung der Reinheit anderer.

Einer Seligsprechung geht in aller Regel ein oftmals jahrzehntelanges Verfahren voraus: Sammeln und zusammenstellen der Fakten; Prüfung der Fakten durch die lokale bischöfliche Behörde dahingehend, ob die Voraussetzungen für eine Seligsprechung gegeben sind; im positiven Falle Weiterleitung der Dokumente und Analysen an die zuständige Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungen in Rom; erneute Prüfung durch die Kongregation; im positiven Falle päpstliche Entscheidung pro Seligsprechung; Akt der Seligsprechung vor Ort – im vorliegenden Fall also in Breslau. Es ist davon auszugehen, dass mit dem Zusammenbruch des totalitären kommunistischen Systems in den Staaten, die den sogenannten Ostblock bildeten, die Zeit reif war, die Märtyrerinnen und Märtyrer des XX. Jahrhunderts, die dem nationalsozialistischen wie auch dem sich nahtlos anschließenden kommunistischen System zum Opfer gefallen waren, in Erinnerung zu rufen und vor dem Vergessen werden zu bewahren. Papst Johannes Paul II. (1920-2005) gab dazu bereits in seinem Apostolischen Schreiben „Tertio millennio adveniente“ vom 10. November 1994 folgende Anregung:

In unserem Jahrhundert sind die Martyrer zurückgekehrt, häufig unbekannt gleichsam „unbekannte Soldaten“ der großen Sache Gottes. Soweit als möglich dürfen ihre Zeugnisse in der Kirche nicht verloren gehen. Wie beim Konsistorium empfohlen wurde, muß von den Ortskirchen alles unternommen werden, um durch das Anlegen der notwendigen Dokumentation nicht die Erinnerung zu verlieren an diejenigen, die das Martyrium erlitten haben.

In der Folgezeit sammelte und publizierte in Deutschland Helmut Moll für Deutschland die Lebens- und Leidensgeschichten dieser Blutzeugen (Helmut Moll: Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts, 2 Bände, Paderborn, München, Wien, Paris 1999). In dieser Zusammenstellung sind neben den Grauen Schwestern, die am 11. Juni 2022 in Breslau selig gesprochen worden sind, noch viele weitere Graue Schwestern, die das Martyrium erlitten, aufgeführt.

Im Jahre 2009 begannen in Breslau die Grauen Schwestern mit der Sammlung und Zusammenstellung der erforderlichen Dokumente; 2011 nahm sich die Diözese Breslau der Angelegenheit an und 2015 wurden alle Seligsprechungsunterlagen an die zuständige Kongregation in Rom übergeben. Die dortige Prüfung kam am 19. Juni 2021 mit der Unterzeichnung des entsprechenden päpstlichen Dekrets zum Abschluss.

Was bei der Initiierung des Seligsprechungsprozesses für die zehn Grauen Schwestern und auch später – bei der Festlegung des Zeitpunkts für den letzten Akt des Verfahrens, nämlich den Akt der Seligsprechung vor Ort – nicht bekannt war, ist die Tatsache, dass 77 Jahre nach dem Martyrium der zehn Grauen Schwestern und vieler anderer, verübt von Soldaten der Roten Armee, die in mordender, vergewaltigender, raubender und plündernder Weise die Deutschen in Ost- und Mitteldeutschland von der nationalsozialistischen Herrschaft zu befreien suchten, dergleichen im Jahre 2022 erneut passiert und zwar in der Ukraine und wiederum verübt von Soldaten der Roten Armee, der Armee Russlands.

Die von Ruth Lipinski verfasste Zusammenstellung (Ruth Lipinski: Leben und Überleben 1945/46. Zeitzeugenberichte aus dem Kreis Neumarkt in Schlesien, Hameln 1996) der Ereignisse, die Anfang 1945 auch über den Kreis Neumarkt hereinbrachen, sprechen keine andere Sprache: Es gehörte damals, nicht anders als heute, zum Repertoire der „Befreier“, der Rotarmisten, die Befreiten zu drangsalieren, sie zu morden, zu vergewaltigen, auszurauben und auszuplündern. In Anlehnung an den Schriftsteller Erich Maria Remarque (1898-1970) drängt sich der Gedanke auf: Im Osten nichts Neues!

Dr. Bernhard Jungnitz,
stellvertr. Vorsitzender des Neumarkter Vereins e.V. Hameln
und Vorsitzender des Heimatwerkes Schlesischer Katholiken e.V.

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