Brückenbau in Nieder-Mois vor 100 Jahren

Was haben die Bauerndörfer Nieder-Mois (Ujazd Dolny), Ober-Mois (Ujazd Górny), Jerschendorf (Jarosław) und Tschammendorf (Samborz) in Kreis Neumarkt (Powiat Średzki) gemeinsam? Es ist der Tschammerbach, der in Tschammendorf entspringt und mit nur wenig Gefälle sich zunächst an Jerschendorf vorbei nach Westen gen Ober-Mois hält. In Ober-Mois ändert er seine Fließrichtung nach Norden, durchfließt das Dorf Nieder-Mois und ergießt sich einige hundert Meter nördlich von Nieder-Mois in den aus Richtung Körnitz (Karnice) kommenden Leisebach. Dieser fließt nordwärts und mündet in die Oder.
Der Tschammerbach ist ein kurzes Gewässer, nur wenige Kilometer lang, und immer wasserführend. Selbst in den trockenen Jahren gegen Ende des zweiten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts war er nicht ausgetrocknet. Die Dörfer Ober- und Nieder-Mois durchfließt er mittig und teilt beide Dörfer in eine östliche und eine westliche Seite. Auf jeder Seite findet sich eine parallel zum Bach verlaufende Straße, an deren vom Bach abgewandte Seite sich die Gehöfte und Häuser aneinanderreihen. Dieser Dorftyp wird Angerdorf genannt und durch den Bachlauf ist eine Trennung des Dorfes in zwei Hälften bedingt.
Die Bewohner des Dorfes Nieder-Mois überwanden diese trennende Situation, die dann, wenn der Tschammerbach Hochwasser führte, auch sehr beeinträchtigend sein konnte, seit Gründung des Dorfes gegen Ende des 12. Jahrhunderts1 in unterschiedlicher Art und Weise! Über Jahrhunderte hinweg gab es keine befahrbare Brücke über den Bach. Fuhrwerke durchquerten den Bach an entsprechend angelegten Furten, deren es mindestens zwei gab, nämlich jeweils eine am südlichen und nördlichen Ende des Dorfes. Von einer dritten Furt in Höhe des ehemaligen Gehöftes Stelzer wurde berichtet2. Für Fußgänger, die selbstverständlich trockenen Fußes über den Bach kommen wollten, gab es wohl seit alters her mehrere Stege, die ob ihrer Holzbauweise immer wieder erneuerungsbedürftig waren. In den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts gab es noch drei Stege über den Tschammerbach3. Heute ist von diesen Stegen noch einer vorhanden, nämlich der in Höhe der ehemaligen Krokerschen Schmiede. Diese Bachquerung für Fußgänger ist nun allerdings solide aus Stein und Beton gebaut4.
Einen Quantensprung in Sachen Tschammerbachquerung brachten für Nieder-Mois die 20er Jahre des 20sten Jahrhunderts. In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg, der für das Deutsche Reich nicht nur in einer verlustreichen Niederlage endete, sondern auch zu einer desaströsen Wirtschaftskrise, Massenarbeitslosigkeit und Geldentwertung führte, musste die Beseitigung dieser Zustände wesentliches Ziel staatlichen und kommunalen Handelns sein. Wirtschaftsfördernde Maßnahmen wie Wege- und Brückenbau zur Verbesserung der dörflichen Infrastruktur waren dazu geeignete Mittel. Nieder-Mois erhielt in diesen Jahren zwei in Stein und Beton gearbeitete Brücken, die noch heute bestehen und auch den Ansprüchen des heutigen Verkehrs nach wie vor genügen. Die Furten durch den Tschammerbach wurden in der Folge überflüssig und sind heute nur noch zu erahnen.
Als erste steinerne Brücke Nieder-Mois‘ wurde im Jahre 1921 die sogenannte „Güttler-Brücke“ am nördlichen Ortsende über den Tschammerbach geschlagen. An einem Pfeiler des Brückengeländers ist unübersehbar in den Zementverputz die Jahreszahl „1921“ eingearbeitet. Ihren Namen hat diese Brücke deswegen erhalten, weil in der Nähe, am nordwestlichen Dorfende, das ehemalige Güttlersche Gehöft liegt. 1926 folgte dann der Brückenschlag am südlichen Dorfende. Diese Brücke, die den Namen „Kaiser-Brücke“ wegen des nahegelegenen ehemaligen Gehöftes des Landwirtes Kaiser erhielt, war breiter gebaut als die Güttler-Brücke und mit geschlossenen, mauerartigen Geländern versehen, was wohl zur Erhöhung der Belastbarkeit beitragen sollte5.
Beide Brücken wurden auch deswegen erforderlich, weil der technische Fortschritt in den ersten Jahrzehnten des 20sten Jahrhunderts vor Nieder-Mois nicht halt machte. Während in früheren Zeiten die mit Pferden bespannten Ackerwagen durchweg großdimensionierte, von einem Eisenreif zusammengehaltene Holzräder hatten, kamen im zwanzigsten Jahrhundert mehr und mehr Ackerwagen mit kleindimensionierten Rädern, bestehend aus Metallfelge und luftgefüllter Gummibereifung, in Gebrauch. Die Räder der herkömmlichen Ackerwagen mussten immer wieder mit Wasser in Berührung gebracht werden, damit Holzrad und Metallreif stramm eingespannt waren und das Rad stabil blieb. Die Fahrt dieser Ackerwagen durch die Furt war also geradezu ein Erfordernis! Die kleineren Räder der moderneren Ackerwagen mit Gummibereifung waren dagegen weniger furtgeeignet. Erst recht traf dies auf die zu jener Zeit ebenfalls in Mode kommenden Personenkraftwagen zu.
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1 Neumarkter Verein e.V. Hameln (Hrsg.): Schlesische Heimat – Stadt und Kreis Neumarkt, Hameln 1985, S. 322. Vgl.: Joseph Jungnitz: Geschichte der Dörfer Ober- und Nieder-Mois im Neumarkter Kreise, Breslau 1885, S. 1-5.
2 Mitteilung von Grzegorz Pierzchalski, Sołtys (Ortsvorsteher/ Dorfschulze) von Nieder-Mois, im Jahre 2023.
3 Mitteilung von Alfons Jungnitz, der 1924 in Nieder-Mois zur Welt kam und dort seine Kindheit und Jugendzeit verbrachte, im Jahre 1994.
4 Neumarkter Verein e. V. Hameln (Hrsg.): Schlesische Heimat – Stadt und Kreis Neumarkt. Kreis-Atlas und Lexikon der Erinnerungen, Hameln 1996, S. 296-297 (Ortsplan Nieder-Mois).
5 Die zur deutschen Zeit in der Einwohnerschaft Nieder-Mois‘ gebräuchlichen Brückennamen teilte mir Alfons Jungnitz im Jahre 1994 mit. 2023 wies der Nieder-Moiser Ortsvorsteher Pierzchalski darauf hin, dass die Jahreszahl „1926“ in den Zementverputz des Unterbaus der Kaiser-Brücke eingearbeitet ist.