Bodenhaftung bekommen – verbunden sein mit der lokalen/ regionalen Geschichte – Heimat haben!

Am 1. Juni 2006 konnte an der Verbindungsstraße von Ober-Mois (Ujazd Górny) nach Nieder-Mois (Ujazd Dolny), einige Meter nördlich des alten Bahnhofgebäudes Ober-Mois an der Grenze zwischen Ober- und Nieder-Mois, ein Denkmal eingeweiht werden, dessen Geschichte weit in die Vergangenheit reicht. Ober- und Nieder-Mois gehörten seit ihrem Bestehen zum Sprengel des Klosters Leubus. Die Äbte des Klosters Leubus markierten markierten ihre Besitzungen/ Dörfer gerne mit Wegekreuzen. Ein solches Wegekreuz, in Holz gearbeitet, befand sich auch an der Stelle, an der die Ortsgrenze die Verbindungsstraße Ober-/ Nieder-Mois schneidet. Am 1. Juni 1813 kam an diesem Wegekreuz der Nieder-Moiser Einwohner Ignatz Jungnitz auf tragische Weise ums Leben. 1844, 34 Jahre nach der Aufhebung des Klosters Leubus und vermutlich Verfall des hölzernen Wegekreuzes, ersetzte die Nieder-Moiser Familie Haeusler dieses Wegekreuz durch ein in Sandstein gearbeitetes Denkmal, das u. a. eine bildliche Darstellung der Flucht der hl. Familie nach Ägypten in Verbindung mit einem religiösen Text enthielt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde das Denkmal stark beschädigt, das Bild mit dem deutschen Text ging verloren. Die Zeitschrift „Rund um den Neumarkter Roland“, Ausgabe September 2006, S. 68-69, und Ausgabe Oktober 2006, S. 74-76, berichtete ausführlich über die Geschichte und die Wiedereinweihung dieses Denkmals

Zwei Jahre zuvor, als Heinrich Ceglarski und der Verfasser dieser Zeilen das Denkmal einer genauen Inspektion unterzogen und erste Überlegungen zu dessen Renovierung anstellten, hielt Grzegorz Pierzchalski, seit dem Jahre 2001 Ortsvorsteher (Scholz/ Sołtys) von Nieder-Mois, vor Ort am Denkmal an. Er fragte nach der Geschichte und Bedeutung des Denkmals, da sie weder ihm noch anderen in den beiden Dörfern bekannt seien. Die Erkenntnis für mich aus der Frage des Grzegorz Pierzchalski, geboren im Jahre 1972 in Nieder-Mois und daselbst aufgewachsen, war folgende: Seit 1945/46 wohnen Polen in Ober- und Nieder-Mois – im Jahre 2004 also bereits seit fast sechzig Jahren. Die lokale/ regionale Geschichte ist ihnen bis dahin verborgen oder weitgehend verborgen geblieben. Erst jetzt wird von den jüngeren Polen, die in Ober- und Nieder-Mois/ in der Region geboren sind und den Kreis Neumarkt (Powiat Średzki) mit seiner Stadt und den Dörfern als ihre Heimat empfinden, nach der Vergangenheit, der Geschichte der Menschen, die hier bis 1945/46 lebten, gefragt.

Grzegorz Pierzchalski ist nach wie vor sehr an der Geschichte „seines Dorfes“ Ujazd Dolny (Nieder-Mois) interessiert. Nicht nur, dass er seit Jahren regelmäßig an den Heimattreffen des Neumarkter Vereins in Hameln teilnimmt und bei diesen Gelegenheiten nach Informationen über Nieder- und Ober-Mois Ausschau hält, sondern er hält auch in Nieder-Mois Ausschau nach Relikten aus der deutschen Zeit, um sie zu bewahren und anhand der Fundstücke an die deutsche Vergangenheit zu erinnern. Am 1. Juni 2019 wurde z. B. unter großer Beteiligung der Nieder-Moiser Einwohnerschaft – auch der Verfasser dieser Zeilen, in Nieder-Mois seit 1998 ansässig, war zugegen – ein auf Veranlassung Grzegorz Pierzchalskis renovierter Bildstock von dem zuständigen Ober-Moiser Ortspfarrer Piotr Repelowski feierlich eingeweiht. Der Bildstock steht in Nieder-Mois an der Gabelung der von Ober-Mois ins Dorf führenden Straße und erinnert an ein Ereignis aus dem Jahre 1867. Ein Nieder-Moiser Einwohner errichtete in diesem Jahr den Bildstock für seinen Sohn. Der Hintergrund für die Bildstockerrichtung ist jedoch nicht mehr bekannt. Die Inschriften sind in deutscher Sprache. Die Zeitschrift „Rund um den Neumarkter Roland“ berichtete zeitnah über die Einweihung dieses Denkmals.

Rechts neben dem vorgenannten Bildstock wurde auf Initiative von Grzegorz Pierzchalski am 26. Juni 2022 eine großformatige Tafel aufgestellt. Diese Tafel stellt die über achthundertjährige Geschichte des Dorfes Nieder-Mois dar. Die Einweihung erfolgte wiederum unter großer Anteilnahme der Nieder-Moiser Einwohnerschaft und eine Benediktion der Tafel durch den Ober-Moiser Pfarrer gehörte selbstverständlich zu der Feier.

Aus der Tafel geht sehr gut die Geschichte des Dorfes Nieder-Mois hervor. Nicht verschwiegen wird, dass die Dorfgeschichte Nieder-Mois‘ mehr als siebenhundert Jahre deutsche Geschichte ist. Denn im Jahre 1202, also zu Zeiten Herzog Heinrich I. und seiner Frau, der hl. Hedwig, taucht Nieder-Mois – zusammen mit den benachbarten Dörfern – aus dem der Geschichte auf. Gneomir, Besitzer von Ujazd (Ober- und Nieder-Mois), schenkt diese und andere umliegende Dörfer im Jahre 1202 dem Zisterzienserkloster Leubus (Lubiąż). In den Dörfern hatte deutsches Recht Gültigkeit. Daraus kann geschlossen werden, dass bereits Jahre zuvor ins Land gerufene Deutsche in diesen Dörfern siedelten, das Land kultivierten und hier Heimat hatten. Die deutsche Geschichte des Dorfes Nieder-Mois endete nach dem Zweiten Weltkrieg im Jahre 1946 mit der Vertreibung der deutschen Bevölkerung. Die Polen, die bereits seit 1945 nach Nieder-Mois und in die umliegenden Dörfer einströmten, kamen nicht nur aus Ostpolen (der Teil Polens, den sich 1945 die Sowjetunion als Kriegsbeute einverleibt hatte), sondern auch aus Zentralpolen und den bergigen südlichen Regionen Polens. Im Text auf der Tafel wird auf die Nieder-Moiser Familien Haeusler (Besitzer der Erbscholtisei), Mader (Molkereibesitzer) und Jungnitz (oben erwähnter Ignatz Jungnitz und der Priester Joseph Jungnitz (1844-1918), aus dessen Feder das 1885 erschienene Buch „Geschichte der Dörfer Ober- und Nieder-Mois im Neumarkter Kreise“ stammt. Außerdem findet der wohlbekannte Grafiker Hans Hillmann (1925-2014) Erwähnung. Er ist in Nieder-Mois geboren worden.

Dem Nieder-Moiser Ortsvorsteher Grzegorz Pierzchalski kann nur gedankt werden für seine vielfältigen Bemühungen um die Nieder-Moiser Dorfgeschichte und seinen Weitblick, dass die Menschen, die heute in Nieder-Mois wohnen – also Polen, Anbindung an die Geschichte „ihres Dorfes“, also die deutsche Geschichte des Dorfes Nieder-Mois haben müssen, damit sie Heimat und Bodenhaftung haben!

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